Tübinger Forschungsteam untersucht Internetkommunikation zur Hochwasserkatastrophe: Schuldzuweisungen und utopische Weltanschauungen dominieren – Sorge um die politische Diskussionskultur in Deutschland
Das Hochwasser, das im Juli dieses Jahres große Gebiete in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz heimsuchte, kostete 181 Menschen das Leben, zerstörte zahlreiche Gebäude und richtete massive Schäden an Brücken, Straßen und Eisenbahngleisen an. Die Katastrophe wurde sofort zum Top-Thema im Internet, wo heftige Debatten über Ursachen und Konsequenzen entbrannten.
Welche Positionen wurden hier vertreten, wie wurden die Ereignisse gedeutet und was lässt sich daraus für die Diskussionskultur in diesem Land ableiten? Diese Frage haben Olaf Kühne, Professor für Stadt- und Regionalentwicklung an der Universität Tübingen und sein Team anhand einer Analyse von tausend Kommentaren zu einer ZDF-Sendung über die Flutkatastrophe untersucht. Ihr Ergebnis: Eine sachliche Diskussion fand kaum statt, stattdessen wurde das Thema in hohem Maße moralisch aufgeladen. Statt Sachfragen seien Wertekonflikte ausgetragen worden, so das Forschungsteam. Die Studie wurde in der Open-Access-Fachzeitschrift Sustainability veröffentlicht.
Wenig Vertrauen in die Wissenschaft
So waren viele Debattenbeiträge bestimmt von pauschalen Schuldzuweisungen und drastischer Politikerschelte bis hin zu Verschwörungstheorien, denen zufolge die Flutkatastrophe absichtlich herbeigeführt wurde. „Hinter den Auseinandersetzungen werden zwei gegensätzliche Weltanschauungen jenseits des klassischen Rechts-Links-Schemas erkennbar, die beide utopistisch sind“, sagt Olaf Kühne.
Auf der einen Seite stehe die Utopie einer harmonischen Einheit von Menschen und Natur, geprägt durch Klimaneutralität, regionale Wirtschaft, vegane Ernährung und Wohngemeinschaften Gleichgesinnter. Demgegenüber stehe die ebenso utopische Vorstellung, man könne den bisherigen Wohn- und Lebensstil unverändert beibehalten und die heutigen Verhältnisse konservieren. Mehr erfahren…